Sonntag Misericordias Domini: Predigt zu Hesekiel 34

Predigttext: Hesekiel 34,1-2.10-16.31
Gottesdienst: Sonntag Misericordias Domini, 18.4.2021
PredigerIn: Dirk Dempewolf, Pfarrer

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

kennen Sie Herrn Hummel, Frau Müller, Herrn Jäckel, Herrn Ulrich, Frau Bahr, Frau Wild, Frau Heinrich, Frau Stephan? Diese drei Männer und fünf Frauen sind oder waren von uns gewählte Hirtinnen und Hirten aus den und für die Bürgerinnen und Bürger in Haunstetten. Sie versehen oder versahen ihre ehrenamtlichen oder mit einer Alimentation versehenen Ämter in Augsburg, München oder Berlin und müssen sich in regelmäßigen Abständen emotionale oder sogar hassgefüllte Angriffe gefallen lassen.

Die Hirten des Volkes Israel war eine Oberschicht aus Landbesitzern, Priestern und Königsbeamten, die sich im Laufe der Jahrhunderte seit der Ansiedlung im gelobten Land gebildet hatte. Durch Stellung und Reichtum waren sie die Anführer im Land. Dabei beriefen sie sich in ihrer Macht auf den einen Gott Israels.

Im Vertrauen auf die eigene Macht und Stärke hatte sie Bündnisse gegen die Assyrer gegründet und waren militärisch und als Land untergegangen. Was blieb waren zerstörte Städte und Gemeinwesen, Flüchtlinge, die nach Ägypten geflohen waren, und Deportierte, die in Assyrien neu angesiedelt wurden. Das Volk Gottes hatte das gelobte Land verloren. Deswegen geht der Prophet Hesekiel hat mit der Führungsriege, mit den Hirten des Volkes in Gericht. In Kapitel 34 schreibt er:
Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Amen

Der Untergang des Volkes Israel hat einen Grund und der sind seine Herrscher, sagt der Prophet Hesekiel. Sie haben das Volk politisch falsch geführt, haben nach innen nur den Erhalt der eigenen Macht und ihres Reichtums im Sinn gehabt und ihre Aufgabe als heilende und helfende Hände Gottes für die Armen und Schwachen missbraucht oder vernachlässigt.

Nun denken manche von uns an Herrn Nüsslein und andere Politiker. Das Bedürfnis über ihn und andere Parlamentarier in eine Klage oder einen Wutausbruch nach Hesekiels Maß einzustimmen ist groß. Politikerschelte nennt man das und wirft ihnen pauschal vor, korrupt zu sein, nur die eigenen Interessen oder die Interessen irgendwelcher unsichtbarer Mächte im Sinn zu haben. Für das einfache Volk, für die Schafe, die sie gewählt haben, interessierten sie sich nicht, wird da behauptet.

Das ist der leichte Weg. Den Text von vor 2600 Jahren in die heutige Zeit transportieren. Er klingt so schön aktuell und passt so gut ins eigene Bild von der Welt. In Matthäus Kapitel 20 heißt es: Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun.

Es lohnt sich, hier weiter zu lesen: Bei euch aber soll es anders sein. Jesus spricht nicht zu Machtlosen, sondern zu Menschen, die ihre Macht und Verantwortung, die sie in ihrem Leben und Umfeld haben, anders leben sollen, als sie es in ihrer Umwelt erleben. Als Kinder Gottes sind wir Hirten und Herde auf dem Weg in Gottes Reich, das so anders ist als die Reiche in unserer Welt.

Im Reich Gottes herrscht erst einmal Gott und dann sind alle Menschen seit Anfang beauftragt, ihre Macht, ihre Möglichkeiten und ihre Verantwortung so zu leben, dass alle in Würde leben können. Das gilt von großen Geschwistern, über Eltern, Erzieherinnen, Lehrer, Stadträtinnen, Abgeordneten und Ministerpräsidentinnen bis zum Bundespräsidenten. Macht zu haben ist also menschlich, von Gott immer schon vorgegeben. Hirte zu sein also auch. Weil es menschlich ist und das Bedürfnis, für sich und die Seinen zu sorgen auch, kommt es immer wieder dazu, dass Hirten sich auf den saftigen Weiden Gottes lieber selbst nähren als für andere zu sorgen.

Das gilt für die geborenen Hirten der Zeit Hesekiels ebenso wie für die gewählten Hirten unserer Zeit. Nur wird man die gewählten Hirten heutzutage ohne Gewalt nach einiger Zeit durch Wahl oder Gericht wieder los, zumindest in West- und Nordeuropa.

Das Volk Israel wird seine Führung nicht so einfach los. Deswegen nimmt Gott bei Hesekiel die Macht von den Hirten seiner Zeit zurück. Die folgende Aufzählung dessen, was Gott nun in die eigenen Hände nimmt, zeigt, wie mühselig das Hirtenamt sein kann.
Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

Am Anfang steht die Rettung von der aktuellsten Not, der Todesgefahr. Diese Rettung ist die Voraussetzung für alles weitere Vorgehen. Vielleicht ist solch eine Rettungssituation der menschlich unperfekte Versuch, möglichst viele Menschen in dieser trüben und finsteren Zeit vor einer Covid 19 Infektion zu bewahren.

Der nächste Schritt ist die Orientierung des Hirten, wo überall seine Schafe verstreut sind. Nach der Rettung müssen die Schafe wieder in einer Herde versammelt werden. Dafür brauchen die Schafe unterschiedliche Aufmerksamkeit. Manche haben fast nichts mitbekommen von der Todesgefahr, manche haben sie knapp überlebt, manche nicht. Der gute Hirte kümmert sich darum. Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten.

Wenn es dann wieder eine Herde ist, braucht es für die ganze Herde eine positive Perspektive, gute Auen und fette Weiden. Dabei ist die Zukunft für das Leben auf der Erde gerade in einer noch größeren Gefahr, als Covid es ist.

Für die Menschen um mich herum sind gute Auen und fette Weiden schon die Rückkehr einer gewissen Normalität, die fast unvorstellbar erscheint: sich miteinander ohne Maske und Abstand treffen, ganz normal zur Schule und Arbeit zu gehen und Kollegen und Mitschüler zu treffen, im Altenheim die Mutter und Oma besuchen und die Kranken im Krankenhaus, Urlaub machen im Allgäu oder in Nizza, Geburtstage und Konfirmationen einfach so feiern, mit wem man will, bis spät in der Nacht mit Freunden zusammen sein und ohne Beschränkungen Gottesdienste feiern. Das wären für mich schon gute Auen und fette Weiden.

Der Hirte meines Lebens, meines Alltags bin ich selbst. Ich muss mich letztlich führen und auf den richtigen Weg halten, jeden Tag meines Lebens. Da bin ich froh, dass Gott mir einen guten Hirten an die Seite gestellt hat, der meine Verwundungen heilt, der starkes bewahrt und schwaches stärkt, der mich in der Not bewahrt und auf den Weg bringt zu Gottes guten Auen und fette Weiden. Der gute Hirte, der uns allen vorangeht auf dem Weg vom Tod, aus trüben und finsteren Zeiten zum Leben in der Gemeinschaft miteinander und mit Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen